Schloss Elmau und das Protestcamp – 2 Blasen in schwerster Bewachung.
Die Staatsopberhäupter der 7 Indusdrienationen, die sich selbst für die Mächtigesten halten, haben sich am Wochenende des 6. und 7. Juni 2015 auf Schloss Elmau getroffen. Um dort, bewacht von 20000 Polizisten und meterhohen, kilometerlangen Zäunen, einige Fragen zu diskutieren. Man liest, man wolle etwas gegen den Klimawandel tun oder gegen Korruption kämpfen. Super Kampf gegen Klimawandel, wenn für jede anwesende Demonstrantin und jeden anwesenden Demonstranten ein Bus voller Polizisten ununterbrochen durch Garmisch-Partenkirchen fährt. Und super Kampf gegen Korruption, wenn ein paar wenige Menschen über die Zukunft der Welt entscheiden.
Ich könnte noch ewig weiter beschissene Fakten aufzählen, aber ich halte es für sinnvoller diese Tätigkeit anderen zu überlassen. Zum Beispiel gibts in der Taz einen recht guten Kommentar, wie ich finde. Außerdem beschreibt der Radio-Podcast von A-Radio die Situation ziemlich gut. Zitere: “Ein aus logistischen und sicherheitstechnischen Gründen ungünstigerer und deshalb auch kostspieligerer Veranstaltungsort hätte sich kaum finden lassen. Exorbitante 360 Millionen Euro wird die knapp 24-stündige Begegnung der sieben Staats- und Regierungschefs die deutschen SteuerzahlerInnen kosten.“ (Taz vom 29. 5. 2015)
“Hey, es wird eine Riesen-Vokü geben am Stop-G7-Camp, wir kochen für 1000 Leute oder so! Hast du auch Bock?“ Ungefähr so habe ich vom Camp und der Kochaktion erfahren, die die Gipfelgegner versorgt hat.
Klingt super, dacht ich mir und bin spontan runtergefahren. Während der ganzen Zeit, neben dem Kochen und dem Demonstrieren, habe ich auch immer mal wieder den Stift in die Hand genommen und gezeichnet, was sich um mich herum so zugetragen hat.
Am Tag vor der Abreise habe ich in Nürnberg einen Einkaufswagen voll Bananen geschenkt bekommen. Ich habe meinen Rucksack komplett beladen, es warteten ja hungrige Mäuler auf mich! In München wurden wir dann kontrolliert und ich habe meine seltsame Fracht auf dem Bahnhofsboden ausbreiten dürfen…
Die Dichte an Polizei-Autos, Polizei-Bussen, Polizei – Motorrädern, Polizei – Hubschraubern und Polizei-Menschen
wurde exponentiell höher, je näher man dem heiligen Ort Schloss Elmau gekommen ist. Als wir in Garmisch aus dem Zug steigen, starrt uns eine riesige Überwachungskamera-Apperatur an und wir werden von zwei Dutzend Beamten in Empfang genommen. Ich habe wahrscheinlich an den paar Tagen 10mal soviele Polizisten gesehen wie vorher in meinem ganzen Leben.
Unser vorläufiges Ziel, das Camp der Gipfelgegner, war der einzige Ort im Umkreis, an dem man nicht permanent mit unseren Freunden und Helfern konfrontiert war. Dieses Camp war wie eine kleine Blase innerhalb eines grünen Meeres der totalen Kontrolle, in der sich für eine Woche eine gelebte Utopie entwickelt hat. Ohne Hierarchien, ohne Chefs, komplett selbstverwaltet und auf Spendenbasis wurde innerhalb kürzester Zeit ermöglicht, dass zur Hochzeit 1500 Menschen dort schlafen, essen, sich waschen und politisch betätigen konnten. Der Aufbau konnte ja erst 4 Tage vor der Grossdemonstration beginnen, nachdem das Verwaltungsgericht München das anfängliche Verbot (angeblich wegen Hochwassergefahr) der Gemeinde aufgehoben hat.
Das Panorama rund ums Camp der Gipfelgegner war derart schön, dass man sich eher wie in einem Ferienlager gefühlt hat, als wie in einem Kampf gegen das System!
Zu sehen, wie die Struktur und Organisation des Camps mit ihren Aufgaben gewachsen ist und völlig dezentral und selbstverantwortlich funktioniert hat, war eine beeindruckende Erfahrung. Und Teil der Gruppe zu sein, die für das Kochen zuständig war, war der absolute Wahnsinn! Die Crew, bestehend 20 bis 30 Leuten, die aus Kochgruppen aus 7 oder 8 verschiedenen Städten kamen, die ganze Protestaktion mit warmen veganen Mahlzeiten versorgt. Frühstück, Mittag- und Abendessen. Im Camp – und auch in der Stadt. Je nach dem wo sich gerade eine Demo oder eine Blockade befand, hat die fliegende Vokü Essen hingeliefert.
Das Ganze hat sich in verschiedene Aufgabenbereiche aufgeteilt: Rohmaterial besorgen, Schnippeln, Kochen/Braten, Ausgabe, Abwasch und Wasserversorgung. (Natürlich gab es auch enorme Vorbereitungen was Koordination und Aufbau anging aber da war ich nicht beteilligt.) Um jeden Bereich hat sich für jedes Essen eine Gruppe gekümmert, die übergänge waren dabei fliessend. Erstaunlich war, wie diese Gruppe an Leuten funktioniert hat, die sich grösstenteils das erste Mal getroffen haben. Neulinge wie ich konnten sich beim Plenum einer Gruppe anschliessen, die zum Beispiel das vegane Gulasch ansetzt. Der zusammengewürfelte Haufen entwickelte sich schnell zu einem effektiven Team. Bald war, ohne viel miteinander zu sprechen, klar was zu tun ist und wo man helfen kann. Die Neulinge waren dann schon alte Hasen, die wieder neue Leute einweisen konnten, die laufend rekrutiert werden mussten, um den steigenden Bedarf zu decken. Frei nach dem Motto:
Kein Kampf ohne Mampf!
Habe übrigens irgendwann ungefähr 10 Liter vegane Bananenmilch mit einem Riesenmixer aus meiner mitgebrachten Fracht hergestellt. All-
gemein waren die Kochutensilien sehr absurd auf Grund ihrer Dimen-
sionen: eine 5-Liter-Schüssel mit einem Stahlrohr dran als Schöpfer, Kochlöffel von einem Meter Länge, Maurerkellen als Pfannenwender, Töpfe mit 60 Liter Fassungsvermögen, und so weiter.
Das Kochen in solchen Dimensionen hat nichts mehr mit dem Bruzeln eines Abendessens daheim zu tun. Während ich in der prallen Sonne am Bräter stand und parallel mit zwei anderen Leuten 200 Kilo Kartoffeln (die vorher in der Schnippelstrasse gewaschen, geschält, wieder gewaschen und geschnitten wurden) für ein absolut köstliches Linsen-Gemüse-Dal geröstet habe, haben andere schon das Gemüse für die nächste Mahlzeit kleingeschnitten. Alle halbe Stunde gab es dann ein heftiges Erfrischungsbad im eiskalten Gebirgsfluss nebenan. Und dann wieder an den Bräter!
Hatte was von Sauna. Das könnte man dann gemeinnütziges Power-Wellness oder Bratkatoffel-Loisach-Kur nennen. Ich war auf jeden Fall fix und fertig danach und vollkommen glücklich und entspannt.
Anwohner und Presse haben sich um das Camp geschart als ob es ein Wildtiergehege im Zoo wäre. Und wahrscheinlich waren wir auch genauso exotisch. Die Loisach, der Fluss der unmittelbar neben dem Lager vorbeifliesst, hat vermutlich nie soviele nackte Menschen an seinen Ufern beherbergt, wie in dieser ersten Juni-Woche 2015. Wer wütende Orks erwartet hat, die brandschatzend durch die Stadt ziehen (was viele getan haben) wurde hier von Gitarre spielenden, jonglierenden und kochenden AktivistInnen überrascht.
Ich habe dann doch mal dieses abgeschottete Paradies verlassen und bin zum demonstrieren und zeichnen in die Stadt gegangen.
Die Demonstration am Samstag durch Garmisch-Patenkirchen bestand aus einem bunten Haufen verschiedenster Menschen. Viele hatten sich irgendwelche Aktionen überlegt oder waren verkleidet. Es gab 2 Trommelgruppen, eine Horde Clowns, einen Riesenkraken, (hier im Bild die Seifenblasenkünstlerin), jede Menge Banner, Fahnen und Schilder und natürlich auch einen schwarzen Block.
Das Ganze war von (wer hätte es gedacht) extrem vielen Polizisten verschiedenster Art begleitet. Es gab grüne mit Helm, welche mit Warnweste und Kappe, USKler in Schwarz und auch Ninjaturtle-artige Wesen in grün und schwarz. Und auch von extrem vielen Kameras verschiedenster Art wurden wir begleitet. Von Kamerateams von Fernsehn und Zeitungen, von Polizisten mit mannigfaltigem Überwachungsequipment und von Anwohnern die ihre Smartphones gezückt hatten.
Die Armee – eine davon…
Für mich war die Erfahrung extrem krass, dass man plötzlich wie ein hoch Krimineller behandelt wird, wenn man sich dem Protest gegen den weltpolitischen Alltag anschliesst. Man ist auf einmal Staatsfeind und es wird davon ausgegangen, dass man randalieren wird und Verwüstung und Chaos hinterlässt.
Die Geschehnisse des Wochenendes haben auf mich den Eindruck eines abgekarteten Rollenspiels gemacht. Jede*r weis was er/sie zu tun hat, kennt die Regeln. Auf der einen Seite stehen die DemonstrantInnen, auf der anderen die Polizei. Die PolitikerInnen, um die es ja eigentlich geht bei der ganzen Aktion, sind in Garmisch völlig von der Bildfläche verschwunden. Hermetisch abgeschottet beim 5-Gänge Menü im Schloss oder beim Fototermin mit Dirndl vor saftigen Almwiesen. Nicht im Bild, Kilometer entfernt, hinter diversen Sicherheitszonen ist eine Demonstration am Ende der genehmigten Route angelagt und wird mit Tränengas und Schlagstöcken zum Umkehren gezwungen.
Ich stehe da und sehe in haufenweise grimmige Gesichter. Eisenhart, stolz, überheblich, hinter Sonnenbrillen versteckt, mit dem Headset an die Befehlsgeber verbunden.
Das grosse Haupt-Plenum. Mit Megafon und Handzeichen wurden die Aktionen auf der Demonstration abgestimmt. Versuchen wir, die uns verbotene Route trotzdem zu gehen? Veruschen wir irgendwo Blockaden zu errichten? Wann soll das Essen wohin? Wie geht man mit den aufdringlichen Fotografen um, die das Camp belagern? Was tun, wenn man festgenommen wird? Und das ganze immer vor dem idyllisch-unschuldigen Alpenpanorama…
Auch die Polizei hatte ihr Lager am Rand von Garmisch. Ich frage mich wie dort wohl die Entscheidungen getroffen werden.
Eine mittelgrosse Armee von schwer gepanzerten Polizisten steht vor mir und brütet in der Sonne. Sie riegeln eine Seitenstrasse ab, die von der genehmigten Demonstrationsroute abzweigt. Hinter mir fliesst ein bunter Strom von Menschen langsam und ungeordnet bergan. “Hoch – die – internationale – Solidarität!“ skandiert die Menge. Mit einem Kugelschreiber bewaffnet, versuche ich die Absurdität dieser Situation festzuhalten.
Wenn es heisst, dass 3000 bis 5000 Menschen an der Demonstration teilgenommen haben, ist das nicht ganz korrekt. Die 10000 bis 15000 Polizisten, die die Demonstration gerahmt haben, wie eine Betonrinne einen begradigten Fluss, sind wohl kaum zu unterschlagen.
Meine Serie der Polizistenportraits (von Demos in Nürnberg) kann ich hier natürlich hervorragend fortsetzen!! Bekomme Lob. Spüre Hass, Eitelkeit, bewusste Ignoranz und überraschte Freude aufseiten meiner Modelle.
Der letzte Lautsprecherwagen fährt hinter mir vorbei, mit Musik und von einer tanzenden Meute begleitet. Das Ende der Demo. Dann setzt sich die Armee in Bewegung und schiebt mich ebenfalls weiter bergauf.
Die Clowns interviewen hier einen Polizisten mit einer Klobürste zur Situation auf dem Gipfel. Der Polizist fand das nicht toll und hat nur rumgebrüllt.
Eine weitere seltsame Interviewsituation konnte ich einige Zeit später hinter unserem Essensausgabe-Zelt beobachten: Der Nachrichtensprecher vom BR steht im Gewitter, eher schlecht als recht von seinem Schirm geschützt und wartet auf die Live-Schaltung. Daran hat sich auch nichts geändert, die halbe Stunde während ich mein vorzügliches Bohnengemüse verspeist habe… Später nochmal genau das selbe, 50 Meter weiter, nur mit ZDF…
Der Kameramann war im Endeffekt die aggresivste Person die mir während dem gesamten Wochenende begegnet ist. (Wo doch eigentlich die Presse die neutrale Kraft wäre, die von dem Konflikt zwischen den Fronten berichten soll!) Er hielt seinen Schirm so, dass ständig das Wasser auf die Leute getropft ist, die sich unter einem Vordach ins Trockene gesetzt hatten. Als wir nachgefragt haben, ob er seinen Schirm vielleicht anders halten könnte, hat er uns aufs übelste beschimpft. Gebrüllt. Memmen seien wir, hiess immer wieder.
Scheiss Memmen.Und nochmal Interview. Diesmal spricht der Präsident der freien Republik Liberland in Mikrophone und Kameras. Eigentlich wollte er auf den Gipfel, meinte er. Aber die Gruppe der Sieben haben Liberland wohl nicht für würdig befunden, teilzunehmen.
Der EA (Ermittlungsausschuss) ist sozusagen das rechtliche Rückrad einer jeden Aktion, bei der man mit polizeilicher Repression rechnen kann.
JedeR hat die EA-Nummern irgendwo auf den Gliedmassen stehen, damit man im Falle von Verhaftungen oder übergriffen den Rechtshilfebeistand informieren kann.
Hier hab ich die Artenvielfalt der Kameras versucht festzuhalten. Auf einer Anhöhe haben sich Anwohner, Journalisten und überwachungsbeauftragte der Staatsmacht getummelt. Unten zieht der schwarze Block vorbei.
Der riesige silberne Totenkopf-Krake war wohl die spektakulärste Attraktion auf der Demo. Jeder Arm war mit einem Übel gespickt:
“TTIP tötet“
“World Wide War“
“StopG7 – Go to Hellmau“
Damit die Demonstration genehmigt wird, muss pro 25 TeilnehmerInnen 1 Ordner vorhanden sein. Es konnte allerdings jeder Ordner werden. Auch die Biker von der Kuhlen Wampe.
Auf einem Zaunpfosten stand ein Typ in perfekt sitzendem Anzug, die Sonnenbrille nach oben in die gegelten Haare gesteckt. Er stand so da mit seinem G7-Germany-Jutesack und hat blöd geschaut. Und so gar nicht zu dem ganzen Rest gepasst. Weder zur gepanzerten Staatsmacht noch zur bunten Demo.
Auf einem Zaunpfosten stand ein Typ in perfekt sitzendem Anzug, die Sonnenbrille nach oben in die gegelten Haare gesteckt. Er stand so da mit seinem G7-Germany-Jutesack und hat blöd geschaut. Und so gar nicht zu dem ganzen Rest gepasst.
Und hier noch eine wunderschöne Episode: Nachdem das Gewitter einigen Leuten das Schlafen im Zelt unmöglich gemacht hat, ist ein Teil der Koch-Crew in einem leerstehenden Haus untergekommen, welches uns von einem Einheimischen zur Verfügung gestellt wurde. Wir sind abends irgendwann vom Camp rübergelaufen und wurden ab der Hälfte des Weges von einem Polizeibus begleitet. Nachdem wir ins Haus rein sind und klar war, was unser Ziel war, standen 6 weitere Karren vor der Tür. Am nächsten Morgen bin ich auf den Balkon, um mich mal umzusehen. Da bot sich mir ein sehr skurilles Schauspiel:
Der Hahn stand auf seinem Posten im Vorgarten des Hauses (der ein Hühnergehege war) und krähte. Die 7 Vans standen immernoch (oder schon wieder) davor. Ein Polizist wollte den Hahn mit irgendwas füttern, was diesen aber null interessierte. Ein anderer machte jede Menge Fotos von dem Tier.
Schön, dass die Beamten an diesem Hühnergehege soviel Freude haben, dass wohl von der Globalisierung noch nicht wegrationalisiert wurde.
Ich möchte hiermit noch den ganzen Menschen, die diese wertvolle Aktion möglich gemacht haben, meinen grössten Respekt aussprechen. Was ich direkt mitbekommen habe, war, dass die PlanerInnen und KoordinatorInnen der Kochaktion wirklich Grosses geleistet haben. Die Camp-AG, die Sanitäter, die Kuhle Wampe (die die technische Struktur gestellt hat), das PR/Info-Team und natürlich die Organisatoren und Veranstalter der Demos waren auch alle unverzichtbar. Danke, ihr seid super!
Offiziell stand der Gipfel übrigens unter dem Motto:
“An morgen denken. Gemeinsam handeln.“
Zum Abschluss noch meine Ausrüstung: 4-Farben-Kulli, 4-Farben-Buntstift, Rot-Blau-Doppel-Buntstift und noch Braun und Grün.